Drama, Drohungen und Drohnen: Carlo Masala zur aktuellen sicherheitspolitischen Lage
Krieg in der Ukraine, Drohnen über Polen: Das sicherheitspolitische Umfeld der NATO ist angespannt und die USA zeigen sich als schwer einzuschätzender Bündnispartner. Über diese Lage und mögliche Auswege spricht Oberstleutnant Michael Gutzeit mit Prof. Dr. Carlo Masala.
Im September sah sich Polen erstmals gezwungen, russische Drohnen auf eigenem Territorium abzuschießen, die in großer Zahl in den Luftraum eingedrungen waren. Verteidigungsminister Pistorius bezeichnete den Vorfall als eine „bislang beispiellose Verletzung des polnischen Luftraums“ und „Provokation gegenüber der gesamten NATO“. Er versicherte: „Wir stehen als Bündnispartner ganz klar fest zusammen (…) wir lassen uns nicht provozieren.“ Wie sind die regelmäßigen Luftraumverletzungen einzuordnen? Sollen sie die NATO provozieren oder will Russland vor allem davon ablenken, dass es militärisch schwächelt?
Worte und Zentimeter Die Ukraine verzeichnet nördlich von Pokrowsk Geländegewinne und attackiert russische Ölraffinerien, das diesjährige Zapad-Manöver Russlands fällt deutlich kleiner aus. Präsident Selenskyj vermutet, Russland fehle die Kraft für eine Großoffensive. Putins Drohnen könnten also weniger Stärke, sondern eher Verunsicherung signalisieren. Auch politisch verschieben sich die Frontlinien. Moskau erklärt neuerdings nicht mehr die USA, sondern Europa zum Hauptfeind. Parallel betonen Washingtons Vertreter ihre Bündnistreue: „Wir würden jeden Zentimeter NATO-Territorium verteidigen“, sagte US-Botschafter Waltz bei den Vereinten Nationen. Selbst Präsident Trump bekräftigte jüngst die Verteidigung Polens und des Baltikums. Ist das eine neue Klarheit und wie verlässlich ist sie?
GesprächspartnerCarlo Masala ist Professor an der Universität der Bundeswehr München und Direktor des Metis Instituts für Strategie und Vorausschau. Oberstleutnant Michael Gutzeit ist Leiter der Informationsarbeit am ZMSBw.
--------
39:57
--------
39:57
Äthiopien 1984/85: Bundeswehr und NVA gemeinsam gegen den Hunger
Im Kalten Krieg standen sich zwei deutsche Armeen gegenüber und doch kam es 1984/85 in Afrika zu einem historischen Moment der Zusammenarbeit: Bundeswehr und Nationale Volksarmee (NVA) beteiligten sich gleichzeitig an einem internationalen Hilfseinsatz gegen den Hunger in Äthiopien. Eine neue Sonderausstellung im MHMBw Berlin-Gatow erinnert daran.
Politik, Propaganda und Pragmatismus Mitte der 1980er-Jahre befand sich Äthiopien in einer tiefen Krise: Neben einer schweren Dürre trugen Bürgerkrieg, Misswirtschaft und die politischen Verhältnisse zur Hungerkatastrophe bei. Das äthiopische Regime unter Mengistu Haile Mariam ließ gezielt die Bevölkerung in bestimmten Regionen hungern. Dennoch akzeptierte es – aus machtpolitischem Kalkül – humanitäre Hilfsangebote aus Ost und West. So leisteten erstmals Bundeswehr und NVA gleichzeitig in einem Land humanitäre Hilfe. Auf Seiten der DDR war auch die staatliche Fluggesellschaft „Interflug“ beteiligt. Ihren jeweiligen Einsätzen lag offiziell weder eine gemeinsame Koordination noch Planung zugrunde. Beide Seiten agierten formal unabhängig voneinander unter dem Mandat der Vereinten Nationen (UN). Auf denselben Flugfeldern, mit ähnlichen Maschinen und angesichts der Not entstand eine stille Form der Zusammenarbeit – geprägt von gegenseitigem Respekt und pragmatischem Handeln zweier ideologischer Gegner.
Militärlogistik gegen den Hunger Die topografischen Bedingungen in Äthiopien erforderten robuste Lufttransportmittel. Nur mit militärischen Flugzeugen und Hubschraubern war es möglich, Hilfsgüter in abgelegene Regionen zu bringen. Bundeswehr und NVA setzten auf bewährte Transportflugzeuge und trainierte Crews. Zusätzlich entwickelte die Bundeswehr ein neues Verfahren zum Abwerfen von Hilfsgütern aus niedrigster Höhe. Trotz aller politischen Spannungen zwischen Ost und West ermöglichte diese Zusammenarbeit eine effektive Hilfeleistung. Die Bundeswehr zog aus dem humanitären Einsatz Erfahrungen, die auch Ausbildung und Ausrüstung künftiger deutscher Hilfsmissionen prägten. Erfahrungen aus Äthiopien flossen in Konzepte der militärischen Katastrophenhilfe ein. Zugleich stellte sich die Frage nach der Rolle von NGOs, westlicher Außenpolitik und der Instrumentalisierung von Hilfe. In einem Bürgerkriegsland mit sozialistischer Diktatur war Neutralität kaum möglich. Auch die UN gerieten in ein Spannungsfeld aus Moral, Macht und Machbarkeit.
Live Aid und öffentliche Aufmerksamkeit Die internationale Aufmerksamkeit für das Leid in Äthiopien erreichte mit dem Benefizkonzert „Live Aid“ im Sommer 1985 ihren Höhepunkt. Bob Geldofs Initiative sammelte ca. 100 Millionen US-Dollar an Spenden, doch bis heute ist umstritten, wie wirksam ihre Hilfe war und wer letztlich davon profitierte. Die bereits laufenden Einsätze von Bundeswehr und NVA gerieten dabei in den Hintergrund. In Äthiopien selbst fand der militärische Hilfseinsatz kaum Eingang in die kollektive Erinnerung. Auch in Deutschland ist der Hilfseinsatz heute weitestgehend vergessen. Gerade deshalb ist die Berliner Ausstellung des MHMBw Gatow ein wichtiges Erinnerungszeichen.
Ein vergessenes Kapitel militärischer Hilfe Die Sonderausstellung des MHMBw auf dem Flugplatz Berlin-Gatow trägt den Titel „Äthiopien ´84/85. Hunger – Hilfe – Kalter Krieg“. Auf rund 3.000 Quadratmetern im Außenbereich erwartet die Besucherinnen und Besucher eine eindrucksvolle Inszenierung mit historischen Transportflugzeugen wie der Transall C-160 und der Antonow An-26. Das begehbare Modell des Bundeswehr-Camps in Dire Dawa, ein eigens entwickeltes Videospiel zur Logistik des Abwurfs von Hilfsgütern und eine Tribüne mit „Live Aid“-Atmosphäre vermitteln eindrucksvoll das Spannungsfeld von Not, Engagement und Weltpolitik.
--------
42:50
--------
42:50
Spionagegenossen: Geheimdienstliche Verflechtungen zwischen der DDR und Syrien
Geheimdienste – für viele ein Mythos, für manche ein Schreckensbild, für die Wissenschaft ein schwer zugängliches Forschungsfeld. Dr. Noura Chalati und Dr. Silvia-Lucretia Nicola sprechen in der aktuellen Folge von „Zugehört“ über ein wenig beleuchtetes Kapitel der Geheimdienstgeschichte: die Beziehungen zwischen den Geheimdiensten in Syrien und der DDR zwischen 1960 und 1990. Von Spitzeln, Foltermethoden und dem langen Schatten der Vergangenheit
In dieser Folge von Zugehört berichtet die Politikwissenschaftlerin Dr. Noura Chalati über die bislang kaum erforschte Zusammenarbeit zwischen den syrischen Geheimdiensten (Mukhabarat) und dem ostdeutschen Geheimdienst, der Staatssicherheit, während des Kalten Krieges. Auf Basis von Archivfunden rekonstruierte sie, wie autoritäre Regime Informationen, Methoden und Machtlogiken trotz gegenseitigem Misstrauen austauschten – von Spitzelnetzwerken bis hin zu Folterpraktiken. Dabei wird schnell deutlich: Geheimdienste sind und waren nie rein nationale Akteure, sondern stets Teil transnationaler Beziehungsgeflechte.
Es wird nachgezeichnet, wie historische Kontinuitäten bis in die Gegenwart reichen. Was steckt hinter der oft erzählten Legende vom „Deutschen Stuhl“? Welche Rolle spielten die Mukhabarat bei der Aufrechterhaltung der Machthaber in Syrien über mehrere Dekaden? Wie lassen sich staatliche Gewalt und Verbrechen von Geheimdiensten aufarbeiten? Ein Gespräch über Repression, Überwachung und Bürokratie – und die schwierige Frage, wie eine Gesellschaft nach Jahrzehnten der Totalüberwachung und Gewalt zur Aussöhnung finden kann.
Die GesprächspartnerinnenDr. Silvia-Lucretia Nicola ist Sozialwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr im Forschungsbereich Einsatz. Neben der Erforschung der deutsch-irakisch-kurdischen Beziehungen nach 1991 dokumentiert und begleitet sie die Auslandseinsätze der Bundeswehr wissenschaftlich.
Dr. Noura Chalati ist Politikwissenschaftlerin mit den Schwerpunkten Internationale Beziehungen, Geheimdienste und Naher Osten. Sie studierte in Berlin, Lyon und Edinburgh und wurde in Berlin promoviert. Ihre Promotion entwickelt sie als Teil der Forschungsgruppe „Learning Intelligence: The Exchange of Secret Service Knowledge between Germany and the Arab Middle East 1960–2010“ am Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin.
--------
40:11
--------
40:11
Passage 1945 – ein Jahr des Übergangs
8. Mai 1945: Kriegsende. Ganz so einfach ist es nicht. In unserer neuen Folge von „Zugehört“ sprechen John Zimmermann, Jürgen Luh, Jörg Morré und Frank Reichherzer über das lange und vielschichtige Ende des Zweiten Weltkriegs – und darüber, warum das Jahr 1945 weniger ein Schlusspunkt als ein Übergang war.
Neubewertungen des Zweiten WeltkriegsAuch achtzig Jahre nach seinem Ende ist unser Verständnis vom Zweiten Weltkrieg und seinem Ausgang im Wandel. Historische Forschung, gesellschaftliche Debatten und politische Entwicklungen haben dazu beigetragen, die Ereignisse von 1945 immer wieder neu zu interpretieren. Unsere Gesprächspartner werfen einen differenzierten Blick auf das Jahr 1945 – und stellen die Frage: Wie lassen sich die Umbrüche am Ende des Zweiten Weltkriegs fassen und bewerten?
Wege aus dem KriegAngesichts der globalen Dimension des Zweiten Weltkriegs ist es kaum möglich, von dem einen Kriegsende zu sprechen. Für manche Regionen begann der Frieden bereits vor den offiziellen Kapitulationen Deutschlands und Japans – für andere hingegen setzten sich Gewalt, Zwang und politische Auseinandersetzungen in neuen Konstellationen fort. Der Übergang vom Krieg zum Frieden stellte vielerorts keine klare Zäsur dar, sondern war ein ein brüchiger und langwieriger Prozess.
Potsdamer Konferenz und Nürnberger ProzesseIm Mittelpunkt des Gesprächs stehen zwei Schlüsselereignisse des Jahres 1945: die Potsdamer Konferenz im Sommer sowie die Nürnberger Prozesse, die Ende des Jahres begannen. Beide markieren zentrale Momente für die kommende neue Ordnung der Welt und im Umgang mit der Vergangenheit. Im Mikrokosmos der Potsdamer Konferenz werden die geopolitischen Weichenstellungen mit ihren Spannungen und Bruchlinien deutlich, die in der Nachkriegszeit die internationale Ordnung prägten: vom Kalten Krieg bis hin zur Dekolonisation. Die Kriegsverbrecherprozesse wiederum waren nicht nur ein neues und internationales juristisches Projekt, sondern auch ein moralischer wie auch politischer Versuch der Vergangenheitsbewältigung – und gleichzeitig ein Forum, um Ordnungsvorstellungen zu entwickeln.
1945 als Passage – ein Jahr des ÜbergangsIn dieser Folge von „Zugehört“entsteht ein facettenreiches Bild des Jahres 1945, das einfache Narrative hinterfragt. Sie lädt dazu ein, um über Transformationen von Gewalt im 20. Jahrhundert nachzudenken. Das Gespräch eröffnet neue Perspektiven auf die Vielfalt der Erwartungen, Möglichkeiten und Wege, die in und durch das Jahr 1945 in die Zukunft führen konnten. So wird zugleich weniger eine „Stunde Null“ als vielmehr die „Passage 1945“ deutlich.
Unter dem Leitmotiv „Passage 1945“ findet am 2./3 September 2025 in der Orangerie im Neuen Garten in Potsdam ein Workshop statt. Der Workshop ist eine Kooperationsveranstaltung des ZMSBw, der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, dem Research Center Sanssouci (RECS) und dem Museum Berlin Karlshorst. Mehr Informationen darüber finden Sie hier.
--------
44:39
--------
44:39
Frieden in Freiheit: 70 Jahre in der NATO
Nur 10 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs trat die Bundesrepublik Deutschland am 9. Mai 1955 der NATO bei. Aus früheren Gegnern wurden Verbündete. Oberstleutnant Dr. Heiner Möllers und Major Michael Gutzeit vom ZMSBw sprechen über den NATO-Beitritt sowie die Herausforderungen des westlichen Bündnisses im Kalten Krieg.
Die 1949 gegründete NATO ist ein Verteidigungsbündnis mit Beistandsverpflichtung, das auf Konsens angelegt ist. Sie versteht sich als politische Wertegemeinschaft, die sich für Frieden in Freiheit und liberal-demokratische Ideen einsetzt. Im Kalten Krieg sollte die NATO die Staaten Westeuropas vor dem befürchteten sowjetischen Expansionsdrang schützen.
WestbindungNach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft setzte sich Bundeskanzler Konrad Adenauer für eine NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik ein. Ziel war die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität und die Bindung seines Landes an die westliche Staatengemeinschaft. Unter dem Eindruck des Ost-West-Konflikts versprach Adenauer, eine Armee von 500.000 Mann aufzubauen. Am 12. November 1955 folgte die Gründung der Bundeswehr.
Die Atomfrage und 500.000 MannDurch zahlreiche Übungen und Manöver der internationalen Streitkräfte war die NATO für die Menschen in der Bundeswehr sichtbar und erlebbar. Mitte der 1970er Jahre erreichte die Bundeswehr schließlich eine Stärke von 500.000 Soldaten, auch mithilfe der 1957 eingeführten Wehrpflicht.
Warum eines der heißesten Themen der NATO-Mitgliedschaft die Frage nach der Teilhabe an Atomwaffen war, diskutieren wir in dieser Folge. Wir sprechen auch über den NATO-Doppelbeschluss, die Friedensbewegung und die Entspannungspolitik.
Höre Zugehört! Der Podcast des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Hörsaal - Deutschlandfunk Nova und viele andere Podcasts aus aller Welt mit der radio.de-App