SUZHOU RIVER ist ein Film, bei dem man dem Regisseur beim Denken zuschauen kann. Das ist einerseits reizvoll, nimmt dem Film andererseits seine emotionale Kraft. Im Mittelpunkt stehen zwei ineinander verschachtelte Liebesgeschichten in Shanghai Ende der 1990er Jahre. Ein Videograf verliebt sich in Meimei, eine junge Frau, die als Meerjungfrau Attraktion in einer Bar ist. In Rückblicken entfaltet sich eine zweite Liebesgeschichte: Mardar, ein Motorradkurier, verliebt sich in Moudan, die ihn verlässt mit dem Versprechen als Meerjungfrau zurückzukehren. Moudan und Meimei sind nicht voneinander zu unterscheiden – handelt es sich um dieselbe Frau? Die Anklänge an Hitchcocks Vertigo und Wong Kar-wais Romanzen sind nicht zu übersehen.Regisseur Lou Ye erzählt die Geschichte des Videografen konsequent aus dessen Perspektive, inklusive anstrengender Schulterschüttelkamera und häufigem Voice Over durch den Videografen. Die Off-Stimme schafft Distanz und geht immer wieder in die „Tell don’t show“-Falle. Dadurch verfehlen die eigentlich starken Liebesgeschichten ihre Wirkung auf das Publikum. Als intellektuelle Konstruktion, als filmisches Experiment mit den nichtasiatischen Motiven Undine und Vertigo dennoch sehr reizvoll. Und der Beginn im Industrie-Hafen von Shanghai ist eine Masterclass in Kamera und Schnitt. Im Podcast direkt nach dem Film vergleichen wir SUZHOU RIVER mit ALL WE IMAGINE AS LIGHT. Am Mikrofon mit dem ersten Eindruck: Johanna und Thomas.
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17:07
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Folge 1368: LADY VENGEANCE - Eiskalte Abrechnung
Der Gestaltungswille von Park Chan-Wook ist berüchtigt und kann auch überfordern: jede Einstellung ist so intensiv und kreativ, dass es zumindest am Anfang von den Charakteren ablenken kann. Es geht um eine Frau, die nach 13 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird. In der Haft hat sie sich als Engel der Barmherzigkeit erwiesen, ist aber zugleich auch ein Engel der eiskalt geplanten Abrechnung. Sie wurde verurteilt wegen des Mordes an einem kleinen Jungen und hat noch einige Rechnungen offen. Achtung: Diesmal wird auch geSPOILERt! Erst den Film schauen, dann weiterlesen und Podcast hören.Unsere Protagonistin ist keine eindimensionale Heldin, sie ist nicht ohne Widersprüche. Ängste, Dämonen und Schuldgefühle verfolgen sie. Dennoch gelingt es ihr, ihren komplexen Rachefeldzug Schritt für Schritt umzusetzen. Trotz der fast aufdringlichen kunstvollen Gestaltung stieg bei uns als Zuschauer der Adrenalinpegel. Wir fühlten mit unserer Protagonistin und mit den Eltern der Opfer mit. Viel Drama, aber wenig Pathos – auch als die Handlung im letzten Drittel auf ein Mord-im-Orient-Express-Schema wechselt: viele Opfer, viele Motive. Im Podcast direkt nach dem Film diskutieren wir unter anderem darüber, was das alles mit Vivaldi und Tofu-Ritualen zu tun hat. Am Mikrofon mit dem ersten Eindruck: Johanna und Thomas.
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Folge 1367: PAST LIVES - Wer bin ich?
Eine Frau muss sich zwischen zwei Männern entscheiden. Das ist viel zu oft der Kern eher anspruchsloser Liebesfilme. Davon ist Celine Songs PAST LIVES erfreulicherweise sehr weit entfernt. Die US-Koreanerin Nora – oder Na-young – (Greta Lee) entscheidet sich im Grunde nicht zwischen zwei Männern, sondern zwischen zwei Identitäten: Ihrer ursprünglichen Identität als Koreanerin und ihrer gewählten Identität als US-Amerikanerin. Fein beobachtet, großartig erzählt, wunderbar gespielt von Greta Lee, Teo Yoo und John Magaro. Ein Debutfilm mit starken Dialogen und starken Bildern. Am Mikrofon mit dem ersten Eindruck: Johanna und Thomas.
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30:09
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Folge 1366: DAS MÄDCHEN MIT DER NADEL - Eine schrecklich wahre Geschichte
Die Näherin Karoline nach dem ersten Weltkrieg in Dänemark – die Arbeit ist sehr hart und schlecht bezahlt, der Mann im Krieg verschollen. Hoffnungen werden enttäuscht: Als sie schwanger wird, gerät sie in eine Abwärtsspirale – und in die Arme von Birgit, die vorgibt Schwangeren aus der Not zu helfen … Düsteres Sozialdrama nach einer wahren Begebenheit.Magnus von Horn erzählt die tragische Geschichte in kontrastreichen, beeindruckenden Schwarzweissbildern und zeigt Menschen, die in ihrem Überlebenskampf so hart sind, wie die Umstände in denen sie leben müssen. Eine Welt, in der Arbeiter und Arbeiterinnen gnadenlos ausgebeutet werden und Frauen ohne Männer schutzlos sind. Direkt nach dem Film hört man uns die Betroffenheit an. Am Mikrofon mit dem ersten Eindruck: Anke, Mark, Johanna und Thomas.
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13:44
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Folge 1365: THE FANTASTIC FOUR FIRST STEPS – Vier gewinnt
Kein Superheldenstoff hat soviele verunglückte Verfilmungen erlebt wie die FANTASTISCHEN VIER. Also für Marvel eine besondere Herausforderung für den 37. Film im MCU. Dass FIRST STEPS ein ansehbares Abenteuer geworden ist, liegt zum einen an der Ausstrahlung der beiden Hauptdarsteller Vanessa Kirby und Pedro Pascal. Ihnen gelingt es, dass die Zuschauer über Schwangerschaft, Familienstreit, Moral und Opferbereitschaft nachdenken und nicht über die lächerliche Elastizität von Mister Fantastic. Zum anderen schafft das konsequent analoge Retro-Design der 1960er Jahre eine ganz besondere Atmosphäre. Was wie die gute alte Zeit aussieht, ist aber nicht besser als unsere Gegenwart: Als es darum geht, die eigene Haut zu retten, ist von Solidarität unter den Menschen wenig zu sehen. Abgesehen vom moralischen Dilemma, wie hoch der Preis für die Rettung der Menschheit sein darf, bleiben die Geschichte und die Inszenierung doch sehr konventionell. Da wünschen wir uns mehr Ideen und Mut auf dem Regiestuhl, wenn diese Fantastischen Vier wieder auf die Leinwand zurückkehren. Direkt nach dem Kino am Mikrofon: Tom und Thomas.
Der erste Eindruck - direkt nach dem Kino - in etwa 12 Minuten und spoilerfrei, versprochen. Das ist unser Kerngeschäft. Ansonsten echte Liebe für japanische Filme, eine Schwäche für Science-Fiction und ungebrochene Entdeckungslust für bekannte und unbekannte Klassiker.